Der Bildhauer, Grafiker und Maler Ferdinand Mathiszig, geboren am 29.2.1916 in Berlin, gehörte zu den Künstlern Norddeutschlands, die sich nur widerstrebend in das Rampenlicht der Öffentlichkeit stellten, die vielmehr intensiv in der Stille arbeiteten, um genügend Abstand zum Zeitgeschehen zu wahren, ohne sich von der wechselhaften und schillernden Kunstszenerie des 20-ten Jahrhunderts zu sehr beunruhigen zu lassen, die sie allerdings zur eigenen Orientierung sehr genau kennen.
F.M. hat in den 30 Jahren seiner künstlerischen Tätigkeit mit der größten Ernsthaftigkeit die konsequente Entwicklung eines vollkommen eigenständigen, überaus sensiblen Stils verfolgt. Größtmögliche Identität von psychischer Bewegtheit und plastisch-bildnerischer Konzeption. Darum ging es ihm.
"Kunst- ein zur Meisterleistung entwickeltes Können. Im engeren Sinne die bildenden Künste, Musik und Literatur, Dichtung, Theater und Tanz.
Die Kunstäußerungen in vorgeschichtlicher Zeit hatten kultisch - magische Bedeutung. Auch in den Hochkulturen des Altertums war die Kunst eng mit Glaubensvorstellungen verbunden. Bis zu Beginn des Barock bestanden in Europa enge Wechselbeziehungen zwischen Kunst und Religion. In den folgenden Epochen entwickelten die Künste ein Eigenleben, das zunächst auf die Überlieferung aufbaute, sich dann aber weitgehend von ihr befreite, mit dem Ziel, neue Inhalte und Formen zu finden."1
Es ist vorstellbar, dass F.M. in einigen Punkten dieser Definition zustimmen würde, in anderen jedoch keineswegs.
"Ein Künstler ist kein Spezialist."2
Er hat nämlich bis zuletzt den individuellen Menschen sozusagen als Prototyp in das Zentrum seiner künstlerischen Absichten gerückt und somit keinen neuen Inhalt gesucht.
Der individuelle Mensch als Prototyp ist natürlich ein Widerspruch in sich. Diesen Widerspruch jedoch formal zu bewältigen war die eigentliche Triebfeder seiner künstlerischen Aktivität. Es ging ihm darum, seine in ihm vorhandene psychische Energie mit der entstandenen, oft erkämpften Form in eine vibrierende Wechselbeziehung zu bringen.
"Das Ereignis ist eigentlich das, worum es mir geht."3
Er hat genau gewusst, wann ihm das gelungen war und wann nicht. Dieser Prozess wurde in einer äußerst sparsamen, sehr variablen Form gehalten; sie ist der eigentliche Inhalt, nicht das abbildhafte Element geläufiger gegenständlicher Darstellung. Nicht nur der Mensch in seiner weiblichen und männlichen Polarisierung stand im Mittelpunkt seiner Thematik, sondern ebenso seine unmittelbare Erlebniswelt wie Haus, Teich, Pferd, Baum, Sonne. Kindliche Formeln, die er in Metaphern hob.
Vehement hat sich F.M. gegen die Kunstrichtung des Informell und des Konstruktivismus gewandt, weil in diesen der Mensch mit seiner von ihm empfundenen magischen Irrationalität nicht mehr im Mittelpunkt steht, sondern wie auch immer verstandene ästhetische, also formalistische Prinzipien.
Er war Zeitgenosse von J. Beuys, Arp und Giacometti hatten es ihm angetan. Mit Henry Moore wollte er nichts zu schaffen haben.
F.M. hat bis zuletzt auf seine eigene Sichtweise bestanden und hat nie aufgehört, konzentriert seinem Ideal der Schönheit nachzuspüren, das nichts anderes war, als ein "Gebet" an das Leben.
Schon als Schüler, dessen zeichnerische Begabung offen zu Tage trat, hatte Ferdinand sich der bildenden Kunst verschrieben. Seine Eltern beobachteten allerdings mit Sorge, dass der Junge sich schulischen und gesellschaftlichen Normen nicht anpassen wollte und ließen ihn, nachdem sie von Berlin nach Hamburg übergesiedelt waren, auf dem Gut Olpenitz an der Ostsee eine Landwirtschaftslehre absolvieren. Nach Kriegsende wurde er Malschüler des Hamburger Impressionisten Klaus Becker. Danach lebte er drei Jahre als Landschafts- und Porträtmaler im Bayrischen Wald. Aus der Zeit sind nur noch spärliche Zeichen seiner künstlerischen Entwicklung vorhanden. Anfang der fünfziger Jahre kehrte er nach Hamburg zurück. In einem kleinen Gartenhaus in Hamburg Wohldorf richtete er sich ein Atelier ein und begann nun, sich der Bildhauerei zu widmen, nachdem die Malerei ihm zu wenig eigene Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten schien.
Seine ersten, plastischen Arbeiten waren aus Sandstein gehauene, abstrakte Figuren, die allmählich differenzierter wurden, bis hin zu durchbrochenen, filigranhaften vegetativ anmutenden Skulpturen. Von der Abstraktion ausgehend wurde eine neue Gegenständlichkeit erreicht.
"Von abstrakten Arbeiten mit Assoziationen an Konkretes, bin ich zu Konkretem gekommen, mit Assoziationen an Abstraktes."4
Die aus Sandstein gehauenen Formen entsprachen zwar seiner Konzeption, konnten aber in ihrer Konstruktivität zu wenig über die Individualität des Bildhauers aussagen und ließen aus diesem Grund seine Intuition - wichtigste Quelle und Orientierungshilfe seiner Produktivität - letztlich nicht genügend zur Sprache kommen.
Er versuchte die Formen aufzulockern und gelangte über die Gusstechnik zu differenzierteren Ergebnissen, die bereits auf die neue Gegenständlichkeit hindeuteten. In den 60-iger Jahren entstanden große Betongussplastiken neben flächig gehaltener Malerei, die mit ihren kontrastierenden figürlichen Elementen eine Beziehung zu den Skulpturen herstellte .Ab Beginn der 70-iger Jahre lösten Gipsskulpturen und die Graphik Betonguss und die Ölmalerei ab. Die Graphik wurde zu einer vollkommen eigenständigen Aussageform entwickelt, wobei mit äußerst sparsamen Mitteln gearbeitet wurde, um auch den freien Raum zum Schwingen zu bringen.
"Zwei Kreuze, und sie ergeben 9 verschiedene Flächen und eine zweite Ebene- statisch und vor der dynamischen gelegen. Die Graphik klingt."5
"Die Plastik macht mich
die Graphik mache ich!“6
Ein großer Impuls war zwingende Voraussetzung für den Beginn einer Arbeit. Die Psychische Schubkraft war umso größer, je mehr er sich einer formalen Lösung näher wähnte.
Seit Mitte der 50-iger Jahre lebte F.M. mit seiner Frau, der Pianistin und späteren Lehrerin Erika Mathiszig und den vier gemeinsamen Kindern in Großhansdorf bei Hamburg. Vergeblich hat er allerdings versucht, seine elementare Liebe zum Leben, sein Verhältnis zu Frau und Kindern zu befreunden mit der ureigensten und dringlichen Facette seines künstlerischen Wollens.
Dieser Bruch von Realität und künstlerischer Utopie durchzieht F.M.’s gesamte Biographie und wird durch den fast schmerzlichen Charakter vieler seiner Arbeiten bezeugt. F.M. hat sich die letzten 10 Jahre seines Lebens aus der Gesellschaft hinaus und in die selbstgewählte Einsamkeit hinein begeben, bezog 1973 alleine eine alte Drahtmühle in Grönwohld bei Trittau und nahm sich am 28.10.1982 das Leben.
1) Definition Lexikon
2) Tagebucheintragung von F.M. 10.03.1978
3) Tagebucheintragung von F.M. 02.02.1977
4) Tagebucheintragung von F.M. 31.05.1978
5) Tagebucheintragung von F.M. 30.07.1976
6) Tagebucheintragung von F.M. 21.11.1977